Eines der Ziele der Expedition MSM126 ist es, die Vielfalt des gelatinösen Zooplanktons in den Gewässern um Madeira zu erforschen. Ein besonderer Schwerpunkt liegt dabei auf der rätselhaften Gruppe der Thaliaceen (auf Englisch open-water tunicates, auf Deutsch Manteltiere, genauer: Salpen), die als die geheimnisvollen Drifter des Ozeans gelten. Entgegen der landläufigen Meinung sind diese Weichtiere nicht näher mit den Quallen verwandt, sondern stehen evolutionär in einer Reihe mit den Fischen. Trotz dieser biologischen Abgrenzung werden sie aufgrund ihres halbtransparenten Aussehens oft mit Nesseltieren und Kammquallen in Verbindung gebracht. Thaliaceen bewohnen die Weiten des Ozeans und werden nur vereinzelt in Küstennähe beobachtet. Interessanterweise sind sie kaum in Gewässern mit hoher Produktivität zu finden.
Zu der taxonomischen Klasse der Thaliaceen gehören kleine tonnenförmige Dolioliden, majestätische, bis zu 30 Meter lange Ketten bildende Salpidae oder auch die faszinierenden Pyrosomen, die aufgrund ihrer Biolumineszenz auch unter dem Begriff Feuerwalzen bekannt sind. Alle Thaliaceen haben ein bemerkenswertes Merkmal gemeinsam: ein zelluloseähnliches Makromolekül namens Tunicin, das den schwer verdaulichen „Mantel“ oder auch der Manteltiere aufbaut. Im Gegensatz zu ihren küstennahen Quallen-Kollegen, die bodenlebende Polypen haben, verbringen die Thaliaceen ihr gesamtes Leben in der Wassersäule, sie zählen also zum Holoplankton – den Arten, deren Individuen ihren gesamten Lebenszyklus als Plankton treibend verbringen. Aufgrund der Biolumineszenz vieler Arten dieser Gruppe sind sie bei Meeresforschern und Fischern seit Jahrhunderten bekannt.
Thaliaceen sind als „Staubsauger des Meeres“ bekannt. Sie ernähren sich von winzigen Partikeln, von Bakterien bis hin zu Mikrozooplankton. Einzeln sind sie winzig, doch können sie Kolonien aus Dutzenden oder auch Tausenden Tieren bilden, womit sie vor allem bei neugierigen Tauchern für Aufmerksamkeit sorgen.
Während Pyrosomen vor allem in tropischen und gemäßigten Breiten vorkommen, sind Dolioliden und Salpen auch in Polarregionen zu finden, was die bemerkenswerte Anpassungsfähigkeit dieser gallertartigen Wunderwerke zeigt. Ihre Fähigkeit, sich schnell ungeschlechtlich zu vermehren, ermöglicht es ihnen, schnell auf veränderte Umweltbedingungen zu reagieren, z. B. auf das Auftreten einer Phytoplanktonblüte. Thaliaceen sind bekanntermaßen schwierig zu erforschen und in Gefangenschaft am Leben zu erhalten, weshalb sie im Vergleich zu Quallen und Rippenquallen weniger gut erforscht sind. Nichtsdestotrotz unterstreicht ihr Beitrag zum Kohlenstoffexport von der Meeresoberfläche in die Tiefsee über schnell sinkende Fäkalpellets ihre entscheidende Rolle in den marinen Ökosystemen.
Während der Expedition MSM126 haben wir mithilfe verschiedener Planktonnetze und neuartiger Mittelwassersammlungen mit dem ferngesteuerten Fahrzeug ROV PHOCA allein in den ersten zehn Tagen ein halbes Dutzend Arten gesammelt, und unsere Zählungen nehmen stetig zu – ein Beweis für die reiche Artenvielfalt. Wir freuen uns nun auf neue Sammlungen und hoffentlich viele neue Entdeckungen in den verbleibenden Tagen.
Grüße von Bord der RV MARIA S. MERIAN,
Florian, Sonia und Jamileh